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Standards verstehen am Beispiel von COTI

Was ist COTI?

COTI (Common Translation Interface) ist eine standardisierte Schnittstelle zum Datenaustausch zwischen Content-Management-Systemen (CMS) und Translation-Memory-Systemen (TMS). Standards werden fälschlich häufig als Plug-and-Play-Lösungen verstanden – ein Trugschluss, der zu einer falschen Erwartungshaltung führt.

Warum Standard ≠ Plug and Play ist

Der Begriff „Standard“ suggeriert oft Kompatibilität „out of the box“. Doch COTI ist ein fest definiertes Austauschformat mit Vorgaben, so wie jeder Standard, das einen anpassungsfähiger Rahmen bietet. Die Spezifikation lässt Spielräume für Interpretationen – das ermöglicht Flexibilität, führt in der Praxis aber zu sehr unterschiedlichen Implementierungen auf Herstellerseite.

Die Folge: Was in System A funktioniert, muss in System B erst individuell angepasst werden. Vor allem technische Redaktionen, die mit Variantenlogik, modularen Inhalten und Metadaten arbeiten, benötigen spezifische Mappings und Anpassungen. Translation-Memory-Systeme (TMS) unterscheiden sich je nach Anbieter deutlich in der Art, wie Inhalte verarbeitet werden. Dabei geht es nicht nur um technische Details wie XML-Elemente oder Attribute, sondern auch um unterschiedliche Bedeutungen und Steuerlogiken.

Welche Informationen wie übermittelt und interpretiert werden, ist je nach System verschieden – und muss im Projektverlauf individuell abgestimmt werden. Selbst eine identische Konfiguration eines TMS-Anbieters lässt sich in der Regel nicht einfach auf andere Kundensysteme übertragen – denn Standards können weder unternehmensspezifische Workflows, noch individuelle Benutzergruppen, redaktionelle Vorgaben oder gewachsene Systemstrukturen vollständig abbilden. Diese Unterschiede machen projektspezifische Anpassungen unvermeidlich – selbst bei technisch vergleichbarem Setup.

Typische Integrationshürden in der Praxis

Bei der Einführung technischer Standards wie COTI treten regelmäßig Herausforderungen auf, die für Kunden im Vorfeld oft nicht erkennbar sind – insbesondere, wenn individuelle Anforderungen mit bestehenden Systemarchitekturen und technischen Rahmenbedingungen in Einklang gebracht werden müssen. Besonders relevant sind dabei folgende Aspekte:

  1. Übersetzungsworkflows, die auf spezifische redaktionelle Abläufe abgestimmt sind
  2. Steuerparameter und semantische Vorgaben in CMS und TMS
  3. Unternehmensspezifische Sicherheits- und Freigabeprozesse

Diese Aspekte können im Projektverlauf an Komplexität gewinnen. Mit einer frühzeitigen Abstimmung und einem gemeinsamen Verständnis für die Anforderungen lässt sich COTI jedoch gezielt und effizient in bestehende Strukturen integrieren.

Erwartungsmanagement und Kommunikation

Berater, CMS- und TMS-Hersteller sind gefordert, frühzeitig für Klarheit zu sorgen: COTI ist kein Plug-and-Play-Standard, sondern ein flexibles Schnittstellen-Framework, das konfiguriert, eingebettet und in bestehende Prozesse integriert werden muss. Für eine realistische Einschätzung und eine tragfähige Umsetzung sind folgende Maßnahmen wichtig:

  • Use Cases und Zielsysteme klar definieren – Welche Inhalte sollen wohin fließen und mit welchem Zweck?
  • Datenmodell und Mapping gemeinsam abstimmen – Insbesondere im Hinblick auf Varianten, Lokalisierungen und Metadaten.
  • Verantwortlichkeiten entlang der Prozesskette festlegen – Wer stellt welche Daten bereit, wer übernimmt welche Validierung?
  • Schnittstellenkonfiguration und Einbettung iterativ planen – Kein Big Bang, sondern schrittweise Integration in die Systemlandschaft.
  • Datenfluss aktiv koordinieren – Enge Abstimmung mit den IT-Abteilungen von TMS, CMS sowie ggf. Hosting- oder Netzwerkanbietern, um Systemgrenzen und Schnittstellen frühzeitig zu klären und reibungslos zu verbinden.
  • Testszenarien und Abnahmekriterien frühzeitig definieren – Für ein gemeinsames Verständnis von „funktionierend“ und „fertig“.
  • Workshops zur Abstimmung von Erwartungen, Zielbildern und technischen Rahmenbedingungen

Nur wenn fachliche und technische Rahmenbedingungen im Vorfeld klar definiert und transparent kommuniziert werden, lassen sich Diskrepanzen zwischen Erwartung und Umsetzung im Projektverlauf vermeiden.

Standardisierung trotz Flexibilität – was möglich ist

Auch wenn COTI bewusst Spielräume lässt und eine vollständige Vereinheitlichung unrealistisch ist, lassen sich bestimmte Aspekte der Integrationen gezielt standardisieren:

  • Referenzimplementierungen für typische Redaktionsszenarien (z. B. Variantenlogik, Kontextübergabe)
  • Konfigurationsmuster für COTI-relevante Metadaten und Steuerparameter
  • Automatisierte Schnittstellentests zur Sicherstellung von Stabilität und Kompatibilität

Diese Maßnahmen schaffen Orientierung, reduzieren Implementierungsaufwand und fördern Interoperabilität – ersetzen jedoch keine projektspezifische Feinabstimmung.

Auswirkungen fehlerhafter Erwartungen

Der Plug-and-Play-Gedanke führt zu folgenden Problemen in der Praxis:

  • Fehlkonfigurationen oder unvollständige Anbindungen
  • Inkonsistente Empfehlungen bei der Content-Optimierung
  • Frust bei Redakteur:innen, die auf nachvollziehbare Ergebnisse angewiesen sind
  • Mehrkosten durch nachträgliche Korrekturen

Standards sind kein fertiges Produkt – Der Glaube, mit dem Einsatz eines Standards entfielen Projekt-, Integrations- oder Anpassungskosten, führt zu falschen Erwartungen und Fehleinschätzungen hinsichtlich Implementierungsaufwand und Gesamtprojektkosten.

Standards bieten den Rahmen – nicht die fertige Lösung; zwar entstehen dabei Anpassungs- und Implementierungskosten, diese liegen jedoch immer noch deutlich unter den Aufwänden einer Eigenentwicklung ohne COTI-Schnittstelle.

Der vermeintliche Standard wird zur Stolperfalle, wenn Aufwand und Wirkung nicht realistisch eingeordnet wurden.

Individualisierung als Erfolgsfaktor

COTI bietet einen gemeinsamen Kommunikationsrahmen – der eigentliche Mehrwert entsteht jedoch erst durch eine passgenaue Umsetzung, die die spezifischen Anforderungen redaktioneller Prozesse, Content-Strukturen und Übersetzungsabläufe berücksichtigt.

Erfolgreiche COTI-Projekte zeichnen sich durch maßgeschneiderte Anbindungen aus, die technische Standards mit redaktioneller Intelligenz verbinden.

Eine standardisierte API ersetzt nicht redaktionelle Verantwortung – sie verstärkt sie durch automatisiertes, kontextsensitives Feedback und schafft Freiräume für strategische Entscheidungen.

Fazit

COTI ist ein mächtiges Werkzeug für die Systemintegration im Übersetzungsumfeld – aber kein Selbstläufer. Der Begriff „Standard“ darf nicht zur Annahme verleiten, die Integration sei automatisch einfach oder universell einsetzbar. Tatsächlich erfordert eine erfolgreiche Umsetzung:

  • technisches Verständnis für Schnittstellen und Datenflüsse
  • redaktionelles Prozesswissen über Inhalte, Varianten und Workflows
  • realistische Erwartungen an Automatisierung und Durchgängigkeit
  • eine individuelle, kontextspezifische Implementierung

Wer COTI oder vergleichbare Standards als vollständige Plug-and-Play-Lösung verkauft, wird an der Realität scheitern.

Erst wenn man sie als Architekturprinzipien begreift und konsequent auf die eigene Systemlandschaft und Workflows zuschneidet, entsteht echter Mehrwert – für Redaktion, Lokalisierung und die gesamte Organisation.

Volker Römisch

Head of Consulting bei Noxum und berät Unternehmen zu Best Practices in den Bereichen Content Management, technische Dokumentation, elektronische Standards und PIM-Strategien.